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Wirbel um „Geheimplan gegen Deutschland“: Was ist Fakt, was ist Suggestion, wie ist der „Trend der herrschenden Meinung“?

Wirbel um „Geheimplan gegen Deutschland“: Was ist Fakt, was ist Suggestion, wie ist der „Trend der herrschenden Meinung“?

(Screenshot - Ausschnitt des Titelfotos des Correctiv-Berichts "Geheimplan gegen Deutschland", bearbeitet.)

Hat in einem Landhotel bei Potsdam Ende November letzten Jahres ein „Geheimtreffen“ stattgefunden, auf dem AfD-Funktionäre und Neonazis über einen „Geheimplan“ zur völkischen Homogenisierung Deutschlands beraten haben?

Die „Enthüllungen“ des Recherche-Kollektivs „Correctiv“ wurden inzwischen von Medien bundesweit aufgenommen und teils unter Suggerierung angeblich „bewiesener“ Fakten weitergegeben. Mehr noch entsteht der Eindruck des Bewiesenen bei eiligen Lesern, die sich darob entsprechend entsetzen und empören.

Umgekehrt stellen manche konservative Medien die Recherche generell in Frage, zählen die Entlastungsmomente auf und verweisen auf den doch stark spekulativen Charakter des „Enthüllten“.

Gleichwohl hat sich daran eine medial forcierte und befeuerte Debatte um ein Verbot der AfD entzündet, die – neben konservativen Politikern wie CDU-Parteichef Friedrich Merz – am Freitag auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zu Recht auf den Boden zu holen versucht, indem er darauf verwies, wie lange ein solches Verbotsverfahren bzw. seine Prüfung dauern würde: Es wären 4 bis 5 Jahre.

Wie die AfD in diesen 4 bis 5 Jahren erst recht reüssieren könnte und wahrscheinlich würde – und zwar nicht mehr nur in Umfragen, sondern in konkreten Wahlergebnissen – kann sich wohl kein Anhänger der „demokratischen Parteien“ realistisch ausmalen und ernsthaft riskieren.

Und gänzlich nicht auszumalen wäre es für die Verfechter eines Verbots, wenn Karlsruhe das Vorhaben am Ende einkassiert: Dann kann die AfD dank des Agierens der anderen Parteien vollends durch die Decke gehen, und das – wieder einmal – ohne auch nur einen Finger selbst dafür gerührt zu haben.

Dennoch wurde bis zum Wochenende eifrig weiter versucht, diese Verbots-Scheindebatte am Brodeln zu halten.

In Berlin demonstrierten ca 350 Verbotsforderer vor dem Kanzleramt, darunter Klimaaktivistin Luisa Neubauer;  im Ruhrgebiet dienten die „Enthüllungen“ über einen „völkischen Geheimplan“ am Samstag als Legitimation für einen Protestmarsch gegen die AfD in Duisburg, wo die Partei zu einem Neujahrsempfang geladen hatte.

Das nächtliche Verkleben der Türen der Vesammlungshalle durch unbekannte „Aktivisten“ war den berichterstattenden Medien nur eine Randnotiz wert. Vollkommen unhinterfragt und -kritisiert blieb die Teilnahme vermummter Linksextremer an dem Protestmarsch, das Skandieren und Plakatieren offener Gewaltaufrufe: „Wir kriegen euch alle“ oder „AfD angreifen“.

Verurteilt wurden diese Aufrufe bis dato öffentlich von niemandem aus dem „demokratischen Spektrum“, auch nicht von denen, die sich vorige Woche so lautstark über das „Erstürmen“ der Habeck-Fähre (es gab keinen „Sturm“, wie längst erwiesen ist) oder eine an einem Galgen hängende Ampel bei den Bauernprotesten echauffiert hatten.

Über den angeblichen „Geheimplan“ zur millionenfacher Aussiedlung Nichtdeutscher erschien am Sonntag, 14. Januar, eine kritische Betrachtung in der FAZ.net. In dieser wird sowohl die reflexartige Empörung und Vorverurteilung als auch die ähnlich reflexhafte Entlastung einer sorgfältigen Prüfung unterzogen.

So argumentiert die „Junge Freiheit“ mit dem privaten Charakter dieses Treffens, und durch den Verzicht auf öffentliche Bekanntmachung werde es noch nicht „geheim“ – Betriebsweihnachtsfeiern würden ja nicht anders organisiert.“ Dieses Argument, so die FAZ, gehe jedoch über die Frage hinweg, ob hier nicht doch ein „Betriebsgeheimnis der AfD bekannt geworden ist, das der Partei unangenehm sein muss“.

Der Eröffnungsredner, der den angeblichen Plan zur Deportation von Ausländern und „nicht hinreichend deutschen Deutschen“ mitgebracht hatte und vorstellte, war der Österreicher Martin Sellner. Sellner ist Chefideologe der „Identitären Bewegung“.

Als Identitäre Bewegung bezeichnet sich, so die Definition der Bundeszentrale für politische Bildung (bpd), eine Ende 2012 auch in Deutschland entstandene Gruppierung neu-rechter und rechtsextremer Aktivisten. Die Identitären vertreten die Theorie des Ethnopluralismus, der Ethnien nicht nach biologischen Kriterien, sondern nach Zugehörigkeit zu einem Kulturkreis definiert. Mit provokanten Aktionen versuchen sie, rassistische Vorurteile zu verbreiten.

Der Redaktion von Correctiv liegt ein Einladungsschreiben vor, in dem Chefideologe Sellner als Hauptredner jenes Treffens mit AfD- und CDU-Mitgliedern genannt wird. Staatsrechtslehrer Ulrich Vosgerau, Mitglied der CDU,  habe sogar erklärt, dass er konkret deswegen teilgenommen habe, um Sellner einmal persönlich zu erleben. Hingegen wollen andere Teilnehmer von Sellners Anwesenheit nichts gewusst haben.

Wie die FAZ ausführt, führt der AfD-Bundesvorstand  eine „Unvereinbarkeitsliste“ von Organisationen, deren Mitglieder für eine AfD-Parteimitgliedschaft nicht in Frage kommen. Neben linksextremistischen und islamistischen Gruppierungen stehen auch rechtsextreme darauf – auch die Identitäre Bewegung e.V..

Der direkte Kontakt zu den Identitären, ganz von inhaltlichen Positionen abgesehen, steht im Widerspruch zur  Legalitätsstrategie der Parteiführung. Besonders heikel wird das, weil die Identitären für den Verfassungsschutz ein eindeutigerer Fall ist als die AfD, insofern wäre klare Distanzierung zu erwarten und im Sinne der Partei auch dringend anzuraten.

Vokabular der Geheimniskrämerei verstärkte Wirkung der Enthüllung:

Die reichweitenstarke Deutsche Presse-Agentur (dpa) verbreitete schon kurz nach dem Erscheinen des Correctiv-Artikels die Schlagzeile: „AfD distanziert sich von Geheimtreffen mit Rechtsextremen“. Die Agentur berief sich bei der Meldung auf einen Sprecher von Parteichefin Alice Weidel.

Die AfD distanzierte sich von Hartwig Sellner, der in Dortmund ansässige Verein Deutsche Sprache distanzierte sich von seinem Vorstandsmitglied Silke Schröder und die Kölner Universität von ihrem Privatdozenten Vosgerau, der, so die FAZ, allerdings schon seit 2018 keine Titellehre mehr leistet.

Die „Junge Freiheit“ behauptet:

„Es sind die genutzten journalistischen Stilmittel, die das Bild eines Geheimtreffens vermitteln, nicht die Veranstaltung selbst.“

Die konspirativen Methoden von Correctiv (Einmietung im Hotel unter falschem Namen, Chartern eines Floßes für einen Fotografen) hätten den Eindruck des konspirativen Charakters der Runde absichtlich erzeugt. Für den Analysten der FAZ ist das höchstens halbrichtig, denn natürlich habe die Zusammenkunft mit dem Chefideologen der Identitären Bewegung geheim bleiben müssen – zumindest für den teilnehmenden Berater der Parteivorsitzenden, Hartwig, und den AfD-Fraktionschef Siegmund aus Magdeburg,

Richtig sei der Analyse nach allerdings, dass das Vokabular der Geheimniskrämerei die Wirkung der Enthüllung verstärkte oder sogar erst erzeugte.

„Die Suggestion, AfD-Kader hätten im Schutz eines Ausflugshotels mit unbekannten Gönnern menschenfeindliche Pläne ventiliert, zu denen sich die Partei öffentlich nicht bekennen könnte, machte es den Vertretern der anderen Parteien bis hinauf zum Bundeskanzler möglich, sich rücksichtslos zu empören, ohne Rücksicht nämlich auf die eigene Programmatik – denn offensichtlich will die AfD ja etwas ganz anderes, die sprichwörtliche andere Republik, die nur auf konspirativem Weg, durch einen Putsch, ins Dasein treten könnte.“

In der Sache jedoch gehen die von „Correctiv“ aufgezählten Vorhaben in Sellners Konzept an vielen Stellen kaum über die migrationspolitischen Überlegungen der Ampel und der Union hinaus, unterstreicht der FAZ-Analytiker:

 „Ein „Musterstaat“ in Afrika – das ist erst einmal nur die konsequentere Variante der Stabilisierung Libyens oder der Ruanda-Pläne von Rishi Sunak und Jens Spahn. Assimilationsdruck – für Linnemann-CDU und Giffey-SPD kein Tabu. Spahn oder Nancy Faeser würden allerdings nicht wie Sellner fordern, ausdrücklich die Praxis des Bevölkerungstransfers aus der Zwischenkriegszeit wieder aufzunehmen.“

In Kubitscheks Zeitschrift „Sezession“ hat Sellner seine Sicht wie folgt dargelegt:

„Den Schnittpunkt zwischen Islamisierung, Hamas-Demos, Asyl, Sozialmissbrauch und Überfremdung bildet der Bevölkerungsaustausch. Er ist die Ursache, der Rest sind die Symptome.“

Ebenso wie die AfD erklären inzwischen aber fast alle Parteien, dass Migration und Integration Probleme von höchster Dringlichkeit sind. Der FAZ-Schreiber erinnert an Friedrich Merz´ Parole der  „kleinen Paschas“.

Und es werden, bis hinauf zum Bundeskanzler (Abschiebungen im „großen Stil“),  zunehmend drastischere Maßnahmen versprochen, die nach Ansicht der meisten Experten (etwa dem erfahrenen Migrationsforscher Gerold Knaus) keine Abhilfe schaffen werden. Dafür gibt es ein Wort: Populismus.

Die Analyse der FAZ mündet in dem Fazit:

„Die AfD wartet darauf, dass ihre Gegner nach den Symptombeschreibungen auch die Ursachenbehauptung übernehmen. Für Mar­tin Sellner und seine Leser läuft insoweit alles nach Plan.“

Quelle: FAZ.online / Eigene Recherchen

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