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Tausende protestieren gegen AfD – Regierung beschließt zugleich „brutale“ Abschiebegesetze

Tausende protestieren gegen AfD – Regierung beschließt zugleich „brutale“ Abschiebegesetze

Während seit 3 Wochen in zahlreichen deutschen Städten Tausende Menschen gegen angeblich von der AfD geplante „Massendeportationen“ protestieren (die weitgehend aus Vermutungen konstruierte Geschichte des Recherchekollektivs Correctiv gerät immer mehr in die Kritik), wurden mitten in dieser Protestwelle verschärfte Abschiebegesetze beschlossen. Mehrheitlich von den Parteien, die nicht nur gegen die AfD mitmarschieren, sondern diese Proteste meist selbst mitorganisieren.

Pro Asyl kritisiert das neue sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz als „brutal“. Die Unionsfraktionen hatten sogar noch härtere Maßnahmen gefordert, konnten sich jedoch nicht durchsetzen.

Ein öffentlicher Protestschrei der jeweiligen Parteianhänger blieb aus. Dieser konzentriert sich bisher auf einen angeblichen Geheimplan für Massenausweisungen, besprochenen auf einem privaten Treffen unter Teilnahme einiger AfD- und CDU-Politiker.

Das Ministerium des Inneren unter SPD-Ministerin Nancy Faeser fasst den Beschluss wie folgt zusammen:

„Mit der Mehrheit der Stimmen von SPD, FDP und – mit einzelnen Ausnahmen – Bündnis 90/Die Grünen hat der Bundestag am Donnerstag, 18. Januar 2024, das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz (20/9463, 20/9642) beschlossen, dessen Kern erweiterte Durchsuchungsmöglichkeiten und eine Ausdehnung des Ausreisegewahrsams sind.

Die Fraktionen von CDU/CSU und AfD stimmten gegen das zuvor im Innenausschuss noch in Teilen geändert Gesetz (20/10090).

Mehrheitlich abgelehnt wurde ein Entschließungsantrag (20/10091), den die Unionsfraktion zu dem Regierungsentwurf eingebracht hatte. Darin kritisierten die Abgeordneten das Gesetz als nicht ausreichend und forderten unter anderem, die gesetzlichen Kompetenzen der Bundespolizei für Rückführungen auszuweiten und die Möglichkeit, Asylanträge von illegal Eingereisten abzulehnen.

Gesetzentwurf der Bundesregierung

Die Fortdauer und die Anordnung von Abschiebungshaft soll künftig unabhängig von etwaigen Asylantragstellungen möglich sein, auch bei Folgeanträgen. Verstöße gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote werden laut Gesetz als eigenständiger Haftgrund außerhalb der Fluchtgefahr im Rahmen der Sicherungshaft geregelt; zudem ist ein behördliches Beschwerderecht für den Fall der Ablehnung des Abschiebungshaftantrags vorgesehen.

Beim Ausreisegewahrsam sieht das Gesetz vor, dessen Höchstdauer von derzeit zehn auf 28 Tage zu verlängern, um effektiver als bisher ein Untertauchen des Abzuschiebenden zu verhindern. Reduziert werden sollen die Fälle, in denen Staatsanwaltschaften bei Abschiebungen aus der Haft zu beteiligen sind. Auch sollen Abschiebungen nicht mehr angekündigt werden müssen, sofern nicht Familien mit Kindern unter zwölf Jahren betroffen sind.

Identitätsklärung soll erleichtert werden

Die Suche nach Daten und Dokumenten zur Identitätsklärung soll erleichtert werden, ebenso das Auffinden abzuschiebender Personen. Dazu sollen die Behörden auch andere Räumlichkeiten als das Zimmer des abzuschiebenden Ausländers in einer Gemeinschaftsunterkunft betreten können. Vorgesehen ist ferner, dass Widerspruch und Klage gegen Einreise- und Aufenthaltsverbote keine aufschiebende Wirkung mehr haben. Wohnsitzauflagen und räumliche Beschränkungen sollen ebenfalls künftig von Gesetzes wegen sofort vollziehbar sein.

Daneben enthält das Gesetz weitere Maßnahmen etwa zur erleichterten Abschiebung von Straftätern und Gefährdern. Für den Bereich der Organisierten Kriminalität soll ein Ausweisungstatbestand geschaffen werden, der an die Angehörigkeit zu Strukturen der Organisierten Kriminalität anknüpft und unabhängig von einer strafrechtlichen Verurteilung ausgestaltet ist. Erleichtert werden soll die Ausweisung von Schleusern.

Änderungen im Innenausschuss

Mit den Stimmen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hatte der Innenausschuss zuvor einen Änderungsantrag der drei Koalitionsfraktionen angenommen, wonach Minderjährige und Familien mit Minderjährigen „grundsätzlich nicht in Abschiebehaft genommen“ werden sollen. Ausnahmen soll es der Begründung zufolge etwa bei minderjährigen Gefährdern oder Jugendstraftätern geben können. Ferner soll Betroffenen in Verfahren zur Abschiebungshaft oder Ausreisegewahrsam eine Pflichtverteidigung zur Seite gestellt werden.

Zur Bekämpfung der Schleusungskriminalität ist eine Verschärfung der bisherigen Strafandrohungen für entsprechende Delikte vorgesehen. Zugleich wird klargestellt, dass die Rettung Schiffbrüchiger auch künftig nicht strafbar ist.

Niedrigere Asylbewerberleistungen

Asylbewerber sollen der Vorlage zufolge künftig drei Jahre statt 18 Monate lang die niedrigeren Asylbewerberleistungen erhalten. Ausländern, die in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen verpflichtet sind, soll die Aufnahme einer Beschäftigung bereits nach sechs statt nach neun Monaten ermöglicht werden.

Die Erlaubnis zur Beschäftigung geduldeter Ausländer soll nicht mehr im freien Ermessen der Ausländerbehörde stehen. Damit soll ein Gleichklang mit der Regelung für Geduldete hergestellt werden, die verpflichtet sind, in einer Aufnahmeeinrichtung zu wohnen.

Die geforderte Vorbeschäftigungszeit vor der Erteilung einer „Beschäftigungsduldung“ will die Koalition von 18 auf zwölf Monate senken und das wöchentliche Mindestmaß der Beschäftigung von 35 auf 20 Stunden reduzieren. Damit mehr Menschen von der Beschäftigungsduldung profitieren können, soll der bisherige Stichtag für die Einreise bis zum 1. August 2018 auf Ende 2022 verlegt werden.

Pro Asyl: „Ein paar mehr Abschiebungen, deutlich mehr Grundrechtsverletzungen und noch brutalere Abschiebungspraxis“

Das Rückführungsverbesserungsgesetz soll dafür sorgen, dass Menschen ohne Bleiberecht Deutschland schneller verlassen müssen. „Es wird ein paar mehr Abschiebungen geben – vor allem aber deutlich mehr Grundrechtsverletzungen, rechtstaatlich fragwürdige Inhaftierungen und eine noch brutalere Abschiebungspraxis.“ Das kritisiert die Organisation Pro Asyl.

In einer Stellungnahme verurteilt die Flüchtlingsorganisation den Beschluss scharf.

„Die als Gesetzbegründung angeführte Entlastung der Kommunen wird dadurch nicht erreicht werden.

Wie aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Partei Die Linke hervorgeht, wurden bis Ende Oktober 2023 13.500 Menschen aus Deutschland abgeschoben. Laut Pressemeldungen waren es bis Ende des Jahres knapp 16.500 Abschiebungen. Das ist ein Anstieg um rund 3.500 oder 27 Prozent im Vergleich zu 2022.

Durch die restriktiven Regelungen im neuen Gesetz sollen noch mehr Menschen abgeschoben werden, »damit wir weiterhin unserer humanitären Verantwortung für die Menschen gerecht werden können, die wir vor Krieg und Terror schützen müssen ‑wie die 1,1 Millionen Geflüchteten aus der Ukraine«, so Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Es wird also ein Zusammenhang hergestellt zwischen teils überlasteten kommunalen Strukturen und vermeintlich zu wenigen Abschiebungen. Ein solcher Zusammenhang besteht aber nicht, das zeigen die Fakten.

Natürlich gibt es die ausreisepflichtigen, abgelehnten Asylbewerber, deren Abschiebung durch das neue Gesetz versprochen wird:

Ende Oktober 2023 lebten rund 251.000 ausreisepflichtige Menschen in Deutschland, darunter 201.000 mit einer Duldung. Mit knapp 146.000 waren allerdings nur 58 Prozent der Ausreisepflichtigen auch abgelehnte Asylbewerber. Oder anders gesagt: Rund 105.000 der Ausreisepflichtigen in Deutschland haben nie einen Asylantrag gestellt. Sie können also gar nicht Sündenböcke für eine vermeintlich gefährdete humanitäre Aufnahmefähigkeit sein.

Bis Ende Dezember ist die Zahl der Ausreisepflichtigen laut Pressemeldungen auf 243.000 gesunken, die Zahl der Geduldeten auf 194.000. Wer nun vermutet, dass dies an der gestiegenen Zahl der Abschiebungen liegen könnte und dass diese Zahlen durch das sogenannte Rückführungsverbesserungsgesetz noch deutlicher reduziert werden könnten, sieht sich aber getäuscht.

Allein der Blick auf die häufigsten Herkunftsländer zeigt, dass der Ruf nach mehr Abschiebungen vor allem Populismus und in der Praxis kaum erfüllbar ist.

BISHERIGE REFORMEN HABEN WENIG GEBRACHT

Bereits fünf Reformen im Bereich Abschiebungen seit 2015 haben das versprochen. Die Zahl der Abschiebungen hat sich dadurch jedoch nicht signifikant erhöht und bewegte sich bis 2020 im Bereich von 20.000 bis 25.000 jährlich, bis es pandemiebedingt zu einem starken Rückgang auf knapp 11.000 kam. Dass die Abschiebungszahlen nicht wieder auf dem Niveau von vor der Pandemie oder sogar darüber liegen, hat allerdings nichts mit einer vermeintlich zu laschen Abschiebungspraxis oder zu wenig restriktiven Gesetzen zu tun. Es hat vor allem damit zu tun, dass es trotz abgelehntem Asylantrag in vielen Fällen sehr gute Gründe gibt, weshalb Menschen nicht in ihre Herkunftsländer abgeschoben werden können.

Die meisten Ausreisepflichtigen und Geduldeten kamen Ende Oktober 2023 aus dem Irak, aus Afghanistan, aus der Russischen Föderation, Nigeria, der Türkei und Syrien.

Allein der Blick auf diese Herkunftsländer zeigt, dass der Ruf nach mehr Abschiebungen vor allem Populismus und in der Praxis kaum erfüllbar ist, da die humanitäre und menschenrechtliche Lage in vielen Ländern Abschiebungen schlicht nicht zulässt. Zudem gibt es in vielen Fällen individuelle Gründe wie schwerste Erkrankungen, familiäre Bindungen in Deutschland oder eine Berufsausbildung. Diese Gründe machen zwar eine Abschiebung unmöglich, die Menschen bleiben aber trotzdem ausreisepflichtig und damit in der Statistik derer, die das Land verlassen müssen.

NUR WENIGEN WIRD MANGELNDE KOOPERATION VORGEWORFEN

Die Zahl der Ausreisepflichtigen ist in den vergangenen Jahren also weniger deshalb gestiegen, weil sich Menschen »nicht abschieben lassen wollen«. Darauf deutet auch die vergleichsweise geringe Zahl der Menschen mit einer Duldung wegen ungeklärter Identität hin: Etwas mehr als 18.000 Menschen haben diese Duldung, weil ihnen von den Ausländerbehörden mangelnde Kooperation bei ihrer eigenen Abschiebung vorgeworfen wird – das sind nur neun Prozent der ausreisepflichtigen Geduldeten und ist damit ein vergleichsweise geringer Anteil.

Es ist also wenig verwunderlich, dass die Zahl der Ausreisepflichtigen und Geduldeten in den vergangenen Jahren immer weiter gestiegen ist – von 204.000 Ausreisepflichtigen Ende 2015 auf 304.000 Ausreisepflichtige Ende 2022. Binnen sieben Jahren hat sich die Zahl der Ausreisepflichtigen also um 100.000 oder fast 50 Prozent erhöht – der Vielzahl an restriktiven Gesetzespaketen und fünf »Abschiebungsreformen« zum Trotz. Im Jahr 2023 kam es nun erstmals wieder zu einem Rückgang dieser Zahlen und zwar zu einem sehr deutlichen: Die Zahl der Ausreisepflichtigen sank um fast 62.000 auf weniger als 243.00, also um über 20 Prozent – wohlgemerkt binnen eines Jahres.

Dieser deutliche Rückgang steht ganz maßgeblich in Zusammenhang mit dem sogenannten Chancen-Aufenthaltsrecht, das seit Anfang 2023 in Kraft ist: Dieses können Menschen mit einer Duldung erhalten, wenn sie sich seit mindestens Ende Oktober 2017 in Deutschland aufhalten und nicht wegen vorsätzlicher Straftaten zu mehr als 50 Tagessätzen verurteilt wurden sowie sich zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen.

HINTERGRUND

Hinweise zum Chancen-Aufenthaltsrecht
Bis Ende Oktober 2023 haben fast 47.000 Menschen diesen Aufenthaltstitel erhalten und sind damit nicht mehr ausreisepflichtig. Die Chancen-Aufenthaltserlaubnis bedeutet für die Menschen nach Jahren des unrechtmäßigen Aufenthalts mit einer Duldung und des Damoklesschwerts der drohenden Abschiebung endlich einen rechtmäßigen Aufenthalt. Sie ist 18 Monate gültig und beinhaltet einen vereinfachten Zugang zum Arbeitsmarkt oder zu längerfristigen Arbeitsverträgen sowie bessere Chancen auf dem Wohnungsmarkt. Letztendlich sind dies also Begleitumstände, die für eine wirksame Entlastung der Kommunen sorgen können.

Dass der ständige Blick auf die Abschiebungszahlen und der ewige Ruf nach mehr Abschiebungen ohnehin nur ein Teil der Realität ist, zeigt auch der Blick auf die Zahl der sogenannten »freiwilligen Ausreisen«: 13.500 erzwungenen Ausreisen durch Abschiebungen bis Ende Oktober 2023 stehen laut polizeilicher Eingangsstatistik der Bundespolizei fast 24.000 Ausreisen mit einer Grenzübertrittsbescheinigung gegenüber. Die Zahl der freiwilligen Ausreisen übersteigt die Zahl der erzwungenen Ausreisen also deutlich, obwohl im Gegensatz zu den Abschiebungen nur ein Teil der freiwilligen Ausreisen statistisch erfasst wird.

Ohnehin ist es höchst fahrlässig, den Diskurs immer weiter nach rechts zu verschieben und den Blick vor allem auf Restriktionen und vermehrte Abschiebungen zu richten. Der Blick der Politik muss sich 2024 endlich wieder auf die Aufnahme und Integration der nach Deutschland flüchtenden Menschen richten. Dafür sind finanzielle Mittel, personelle Ressourcen und gesetzgeberische Änderungen notwendig. Nicht zuletzt eine Schutzquote von fast 70 Prozent für Menschen, deren Asylgründe 2023 in Deutschland geprüft wurden, legt nahe, dass die Schwerpunkte anders gesetzt werden müssen.

KONFLIKTE NEHMEN WELTWEIT ZU

Mehr Härte bei Abschiebungen mag zwar zu einigen Abschiebungen mehr führen – allerdings zu einem sehr hohen Preis. Und sie schafft keine Kita- oder Schulplätze und baut keine bezahlbaren Wohnungen, die allerdings dringend notwendig sind, da die meisten Menschen, die in Deutschland Asyl suchen, hier bleiben werden.

Angesichts weltweit zunehmender Konflikte, die die Zahl der Flüchtlinge weltweit auf ein neues Rekordhoch hat steigen lassen, werden Deutschland und Europa sich auch künftig auf hohe Flüchtlingszahlen einstellen müssen. Wir müssen endlich damit beginnen, Flucht und Flüchtlinge in einer globalisierten Welt als Normalität zu begreifen. Jedenfalls, wenn uns in Deutschland und Europa die Menschenrechte noch etwas wert sind und wir sie nicht dem rechten und spaltenden Diskurs opfern wollen.“

Quellen: Deutscher Bundestag/Bundesinnenministerium, Pro Asyl, eigene Recherchen

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