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Kein Park, kein Spielplatz, sondern „Reallabor“: Willkommen in Unnas begehbarer Petrischale

Kein Park, kein Spielplatz, sondern „Reallabor“: Willkommen in Unnas begehbarer Petrischale

Je ein Dutzend rote StahlbĂ€nke und eckige BlumenkĂŒbel, ein frisch eingesĂ€tes Beet und eine Kinderrutsch-Kletterkombination.

Prima, Unna hat einen neuen Kinderspielplatz, zur Abwechslung mal mitten in der Stadt, freut sich der Ahnungslose und hofft auf, nein rechnet mit weiteren SpielgerĂ€tschaften, denn nur so ein einziges KlettergerĂŒst scheint doch ein bisschen geizig fĂŒr einen Kinderspielplatz.

Mehr gibtÂŽs aber nicht, werter Ahnungsloser, denn dies ist kein Spielplatz, auch kein Park (dafĂŒr wĂ€re er viel zu wenig grĂŒn) – nein: Dies ist ein „Reallabor“.

– Ein bitte was?

Hinter dem stelzigen Begriff  steckt ein methodisches Konzept, das einen transdisziplinĂ€ren Ansatz verfolgt. Simpel ausgedrĂŒckt, ist ein ein Reallabor wie dieses so eine Art begehbare Petrischale, bei dem jeder, der sich hineinbegibt, mehr oder weniger unfreiwillig am laufenden Freiluftexperiment teilnimmt.

Im Rahmen einer wissenschaftlich ausgearbeiteten Versuchsanordnung soll das Open-Air-Labor in einem abgesteckten Zeitraum „praxiserprobte, alltagstaugliche Lösungen fĂŒr nachhaltige Entwicklungen“ liefern, und die Herausforderung eines Reallabors besteht darin, Zitat, „dass komplexe VerĂ€nderungsprozesse erforscht werden: Technologische, ökonomische, ökologische, institutionelle und auch kulturelle Faktoren mĂŒssen berĂŒcksichtigt werden. Denn sie sind alle miteinander verbunden und erzeugen Wechselwirkungen.“

Puh, ganz schön abstrakt und wissenschaftsschwurbelig. Formulieren wirÂŽs mal einfacher. Die Stadt Unna unternimmt seit diesem  Samstag, dem 22. April, den Versuch, ihren BĂŒrgern einen bisher rege genutzten City-Parkplatz als „Park“ schmackhaft zu machen. Aber nicht als irgendeinen Park eben, sondern einen, in dem die BĂŒrger tun und lassen können und sollen, was sie denn wollen, sozusagen in zĂŒgelloser Freiheit.

Es war in diversen AnkĂŒndigungen und auch heute in der Eröffnungs-BĂŒrgermeisterrede etwa die Rede von Freiluftyoga oder Lesungen. Nicht etwa von privaten Grillpartys oder gar Bier-Orgien, auch nicht von lautstarken Gesangseinlagen mit der Wanderklampfe mitten in der Nacht im City-Parklabor. Nicht,  dass darob MissverstĂ€ndnisse aufkommen.

Wie sich der theoretische Anspruch „die BĂŒrger sollen machen“ in der Praxis darstellt, wird so ĂŒbermĂ€ĂŸig spannend allerdings nicht werden, da sowieso nichts erlaubt wird, was ordnungsrechtlich nicht in Ordnung geht.

Auch alles Übrige wirkte  bei der Eröffnung  recht unspektakulĂ€r: Wer die hochtrabend daherkommenden HintergrĂŒnde nicht kennt, denkt halt einfach, ach so, hĂŒbsch, die Stadt hat hier jetzt einen kleinen Innenstadtpark angelegt mit BĂ€nken und einem SpielgerĂ€t, und die Autos parken jetzt offenbar woanders.

Wer selbst zu denen gehört, die zuvor dort geparkt haben, reagiert vielleicht weniger begeistert.

Egal ob unfroh oder freudig erregt fragt man sich als Ahnungsloser vielleicht noch kurz, wieso dieser neue kleine City-Parkt ziemlich geizig begrĂŒnt ist, um sich dann zu setzen, den Blumengarten gegenĂŒber zu bewundern und irrig zu denken, er gehörte dazu.

Das tut er nicht, denn dieses GĂ€rtlein Mille Fiori ist das zauberhafte Privatprojekt eines KĂŒnstlerehepaares, welches wiederum kaum Zeit und Enthusiasmus aufbringen wird, zusĂ€tzlich noch einen frisch eröffneten öffentliche Versuchspark zu pflegen.

Man wird dann ein bisschen sitzen und verweilen, den Kindern beim Klettern zuschauen, hoffen, dass da noch ein bisschen mehr an SpielgerÀt dazukommt, und weiterziehen.

Eine so unspektakulĂ€re Herangehensweise wĂ€re aber wohl zu einfach fĂŒr das aktuelle Unna mit seinem aktuellen Rat. Und so wĂŒrde denn dieser fiktive ahnungslose Besucher staunend zu hören bekommen, dass dies erstens weder ein Park ist noch ein Spielplatz, sondern ein „Labor“,  ĂŒberdies auf ein halbes Jahr befristet ist – fĂŒr diesen kurzen Zeitraum mag die Ausgabe fĂŒr die „Erstausstattung“ in Höhe von weit ĂŒber 70.000 Euro doch recht ĂŒppig wirken.

Und noch mehr staunen wĂŒrde dieser Außenstehende, hörte er, dass die Stadtverwaltung selbst in diesem Park, der keiner ist, keinen Handschlag mehr zu tun gedenkt als diesen: den BĂŒrgern dabei zuzugucken, wie sie machen. Also aus der Ferne dabei zuzusehen, was die BĂŒrger mit und in diesem Freiluftlabor anstellen.

Positiv kann man diese Herangehensweise als Aufruf zu kraftvoller KreativitĂ€t, Eigenverantwortung und freiheitlichem Schaffensdrang interpretieren, nĂŒchtern betrachtet ist es eine geschickte Art, sich als Kommune aus der Verantwortung zu ziehen – gerade auch nicht dann, wenn bei diesem „begehbaren BĂŒrgerexperiment“ (Zitat) irgend etwas schief lĂ€uft. Dann ist ja eben der BĂŒrger Schuld.

Mehr oder weniger unverblĂŒmt drĂŒckt sich dieses aus der Verantwortung Nehmen in einem der letzten stĂ€dtischen Aufrufe fĂŒr das Reallabor aus, in dem es wörtlich heißt:

„Was auf dem Platz bis Herbst geschieht, ist allein Sache der Unnaerinnen und Unnaer.“ Praktisch fĂŒr die Stadt und sehr bequem, so kann sie FehlschlĂ€gen immer sagen: Ihr wolltet, BĂŒrger. Wir warenÂŽs nicht.

Umgekehrt darf man sicher sein, dass sich jedwede  Erfolge dieses BĂŒrgerexperiments ausgiebig auf der Homepage der Stadt wiederfinden werden, begleitet von grĂŒndigen SinnsprĂŒchen wie „Machen ist wie Wollen, nur eben krasser“, mit dem BĂŒrgermeister Wigant heute Mittag seine Eröffnungsansprache garnierte.

Was bitte aber ist daran „krass“, ein halbes Jahr lang einen neu angelegten Citypark den BĂŒrgern und damit sich selbst zu ĂŒberlassen, um sogleich (wie es Wigant heute tat) eilfertig zu betonen: Wenn ER, der SouverĂ€n und BĂŒrger, am Ende der 6 Monate Reallabor keinen Park mehr will, sondern wieder einen Parkplatz, dann wird es eben wieder ein Parkplatz? Glaubt Wigant das selbst?

„Krass“, liebe Stadtverwaltung und liebe Ratsmehrheit, wĂ€re dieses zentrale InnenstadtgrundstĂŒck betreffend etwas ganz anderes gewesen. NĂ€mlich die offene, klare Ansage: Liebe Leute – diese FlĂ€che ist zu schade dafĂŒr, dass einfach Autos drauf herumstehen. Wir machen jetzt was richtig Tolles daraus – fĂŒr Kinder vielleicht: Wir legen hier mitten in der Stadt einen Abenteuer-Wasserspielplatz an, mit vielen spannenden, nassfröhlichen Tobemöglichkeiten und ĂŒppiger BegrĂŒnung, wir holen die Kinder und Jugendlichen zur Abwechslung mal mitten in unserer Stadt statt sie wie sonst zu gern in Randbereiche abzuschieben.

Oder wir gestalten hier einen Mehrgenerationen-Wasserpark – Wasser ist doch in Unna, der Stadt des Klimanotstands, in kĂŒnftigen heißen Sommern wichtiger denn je und erfreut und erfrischt gerade auch die Ă€ltere Generation.

FĂŒr all dies hĂ€tte die Stadt Unna, um bei der Wortwahl des BĂŒrgermeisters zu bleiben, „krass“ viel Geld in die Hand nehmen und den Parkplatz, den die im Rat bestimmenden GrĂŒnen ja sowieso nicht wollen, dauerhaft umpflĂŒgen mĂŒssen. Und um das Ergebnis hĂ€tte sie sich dann auch zu kĂŒmmern gehabt, mit weiteren finanziellen und personellen Ressourcen.

All das war politisch aber nicht gewollt, und bestimmt nicht aus RĂŒcksicht auf ein paar angesĂ€uerte Autofahrer, denen die ParkplĂ€tze genommen wurden.

Das ist schade.

Denn möglicherweise hĂ€tte eine solch offensive und konsequente Herangehensweise an das Problem-Areal Schulstraße viel weniger Kritiker auf den Plan gerufen als dieses verhuschte, unaufrichtig  wirkende „Autos sollen raus aus der Stadt und dieser Parkplatz muss verschwinden. Wir wollen aber nicht viel ausgeben und vor allem nicht dafĂŒr verantwortlich sein, wenn das irgendwie nichts wird.“

HĂ€tte, wĂŒrde, könnte: Wir werden es nie erfahren, denn dazu hĂ€tte man die BĂŒrger vorher fragen mĂŒssen. Man hat sie statt dessen vor vollendete Tatsachen gestellt, um sie danach zu fragen, wie sie diese 6 Monate fanden. Was wird nach 6 sommerlichen, freilufttauglichen Monaten schon anderes dabei herauskommen als: „War super“, „war schön“, „war ganz okay“ oder höchstens „ist mir egal“? Und krass vorhersehbar, was danach geschieht.

Kommentiert von Silvia Rinke

Hier Fotos von der Eröffnung:

 

Als „Macher“ prĂ€sentierte sich BĂŒrgermeister Dirk Wigant am Vormittag der Reallabor-Eröffnung in seiner Ansprache, die er ĂŒberschrieb mit „Machen ist wie Wollen, nur eben krasser“.

Hier die Mitteilung der Stadt Unna im Wortlaut.

„Bei strahlendem Sonnenschein und frĂŒhlingshaft warmen Temperaturen hat BĂŒrgermeister Dirk Wigant am Samstag (22. April) ein spannendes Innenstadt-Projekt eröffnet. Ab sofort und bis Oktober 2023 ist der bisherige Parkplatz an der Schulstraße ein sogenanntes „Reallabor“.

Die Kreisstadt Unna setzt damit den politischen Willen um, aus dem Platz mitten in der City ein begehbares BĂŒrgerbeteiligungsprojekt zu machen. Was genau daraus wird, entscheiden die BĂŒrgerinnen und BĂŒrger durch ihr eigenes Handeln. Jede und Jeder ist aufgerufen, sich mit Ideen einzubringen.

Die Rahmenbedingungen fĂŒr das spannende Experiment stimmen jedenfalls: Gleich neben dem beliebten grĂŒnen Kleinod, das das KĂŒnstlerpaar Frauke und Dietmar Nowodworski geschaffen hat, laden nun 12 BĂ€nke zum Verweilen ein, ein großes KlettergerĂŒst mit Rutsche zum Spielen. Ein bereits bepflanztes Beet und BlumenkĂŒbel, die BĂŒrger im Zuge der Eröffnung selbst bepflanzten, machen den Platz grĂŒner und bunter.

Und Platz genug fĂŒr Veranstaltungen aller Art gibt es auch. Ob Lesung, Konzerte oder Yoga: Einige Termine stehen bereits im Veranstaltungskalender, den das Stadtmarketing pflegt und in den sich Interessierte mit ihren Events eintragen lassen können.

BĂŒrgermeister Dirk Wigant erinnerte in seiner Eröffnungsrede an die wechselvolle Geschichte des Parkplatzes, der ab Mitte des 19. Jahrhunderts Standort der Heiliggeistschule, einer evangelischen Volksschule, war. In den 1960er-Jahren nutzte dann die Volkshochschule Unna das GebĂ€ude, bevor es aufgrund eines Hausschwamm-Befalls 1970 abgerissen wurde. Danach diente das spĂ€ter durch den Abriss von HinterhĂ€usern der Massener Straße erweiterte GelĂ€nde als Parkplatz fĂŒr Pkw.

Wie es kĂŒnftig genutzt wird, liegt nun in den HĂ€nden der Unnaerinnen und Unnaer. „Sie entscheiden, was hier passiert, seien Sie kreativ und machen Sie mit“, rief BĂŒrgermeister Dirk Wigant die zahlreichen Zuhörenden auf. Das Motto laute: „Machen ist wie Wollen, nur eben krasser.“
FĂŒr Lob, Kritik und Anregungen hat die Kreisstadt Unna die E-Mail-Adresse reallabor@stadt-unna.de eingerichtet. Weitere Informationen zum Projekt und den Veranstaltungskalender finden Interessierte auf der Internetseite www.reallabor-schulstrasse.de.“

Kommentare

WORDPRESS: 1
  • JĂŒrgen Baranowski vor 2 Monaten

    Den BĂŒrgern der Stadt wurde das Konzept fĂŒr diesen Platz ĂŒbrigens vorgestellt und die vielen anwesenden BĂŒrger der Stadt Unna wurden ermutigt, eigene VorschlĂ€ge zu machen, z.T. Wurde dieses schon wĂ€hrend der Veranstaltung gemacht. Wer aufmerksam zugehört hat, weiß auch, daß die angeschafften GerĂ€te, BĂ€nke, Blumenkohl nach Oktober diesen Jahres auf Kitas, KindergĂ€rten usw. verteilt werden und somit keine sinnlose Anschaffung sind.