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„In Afghanistan wäre nur die Amputation geblieben“ – Ausreise im letzten Moment für kleinen Patienten aus Kabul

„In Afghanistan wäre nur die Amputation geblieben“ – Ausreise im letzten Moment für kleinen Patienten aus Kabul

Sein Bein ist mittlerweile geschient und er sitzt lächelnd auf der Behandlungsliege. Pflegemutter Selda Keskin ist immer an seiner Seite. Auch nachts, wenn er absichtlich wach bleibt und versucht, sie so zu beschützen – aus Angst vor feindlichen Flugzeugen, Bomben und Schüssen.

Und das, obwohl er mehrere tausend Kilometer weit weg ist, und in Sicherheit. Doch die Zeit in Afghanistan hat den siebenjährigen Zekrya tief geprägt. Unter anderem wegen einer angeborenen Schienbein-Fehlbildung, wodurch ein Bein elf Zentimeter kürzer war als das andere, sollte der Junge im Klinikum Dortmund operiert werden.

Doch kurz vor dem Abflug verschärfte sich die Situation in Afghanistan. Die islamistische Terrorgruppe der Taliban übernahm immer mehr Teile des Landes und blockierte die Ausreise. Mit einem der letzten Linienflüge hat Zekrya es noch nach Deutschland geschafft.

Im Klinikum wurde seine Fehlbildung erfolgreich operiert, mindestens ein weiterer Eingriff steht jedoch noch aus. Wie seine Zukunft danach aussieht und ob er wieder zurück zu seiner Familie kann, ist jedoch ungewiss.


In sich gekehrt, ängstlich und immer auf der Hut: So habe Pflegemutter Selda Keskin den Siebenjährigen am Anfang erlebt. Mittlerweile hat Zekrya aber Vertrauen geschöpft und erzählt ihr von seinen Erlebnissen in Afghanistan. Doch nicht wie die meisten anderen Kinder es tun würden – denn der Siebenjährige ist fast komplett taub. Er verständigt sich per Gebärdensprache. Die hat seine Pflegemutter extra für ihn gelernt.

„Man kann sich kaum vorstellen, was Zekrya schon miterleben musste, in welche Situationen er geraten ist, wie viel Angst er hatte. Zum Beispiel hat er erzählt, dass in seiner Nähe mehrere Granaten explodiert sind – die Narben der Splitter sieht man an seinen kompletten Beinen“, erzählt Keskin. „Das alles hat ihn sehr schnell erwachsen werden lassen, und das erst
mit sieben Jahren.“

In Kabul wohnt der Junge mit seiner großen Familie auf engem Raum. „Selbst in ruhigeren Phasen ist dort immer jemand von ihnen wach, achtet auf den Himmel, auf mögliche Flugzeuge, die Sprengkörper abwerfen oder auf ungewöhnliche Geräusche“, so die Pflegemutter.

Wegen der schlechten medizinischen Versorgung in Afghanistan ist Zekryas Fehlbildung nicht behandelt worden – dort wäre ihm nur die Amputation geblieben. „Deswegen hat er damit einfach weitergelebt und sogar Fußball gespielt. Und das trotz der elf Zentimeter Längenunterschied der Beine. Zudem hatte er einen Klumpfuß und konnte deswegen nur auf der Fußaußenseite laufen“, erklärt Dr. Katrin Rosery, Oberärztin in der Klinik für Orthopädie des Klinikums Dortmund. Gemeinsam mit Oberarzt Dr. Matthias Manig hat sie den Jungen operiert.

Damit der Siebenjährige wieder ganz normal laufen kann, wurde zunächst der rechte und damit kürzere Schienbeinknochen des Jungen in der Mitte durchtrennt, um ihn dann mithilfe eines äußeren Fixateurs zu verlängern. Im Anschluss wurde der Klumpfuß des Jungen begradigt. „Wir haben morgens und abends an dem Fixateur gedreht und das Bein täglich einen Millimeter länger gemacht“, so Dr. Rosery. „In der Zwischenzeit konnte sich in der Lücke neuer Knochen bilden, sodass die Beine am Ende nahezu gleich lang sind. Der Rest kann mit einer Sohle ausgeglichen werden.“

Bis es soweit ist, bleibt Zekrya bei Selda Keskin und ihrer Familie. Für sie ist der Siebenjährige ein ganz besonderes Pflegekind:

„Ich habe schon einige Kinder aus Afghanistan aufgenommen, die im Klinikum operiert wurden. Aber bei keinem war es so wie mit Zekrya. Es war für ihn Rettung im letzten Augenblick, seine letzte Chance auf ein ganz anderes Leben. Sonst wäre er dort nicht mehr weggekommen.“

Mittlerweile kann der junge Patient sich sogar normal verständigen. „Auf dem linken Ohr ist Zekrya leider weiterhin komplett taub“, so Natalja Bolotina, Oberärztin in der HNO-Klinik. „Glücklicherweise konnten wir ihn aber auf dem rechten, schwerhörigen Ohr mit einem Hörgerät versorgen. Zum ersten Mal nach so langer Zeit kann er endlich wieder hören. Das hat uns alle
sehr berührt.“

Damit all dies möglich war, haben die Hilfsorganisationen „Kinder brauchen uns“ e.V. und „Löwenstarke Kinderhilfe“ e.V. Transport und Operation für Zekrya finanziert. In einem letzten Eingriff wird nun noch die Schiene am Bein entfernt – dann kann der Siebenjährige bald ganz normal laufen. Speziell für solche Fälle hat das Klinikum einen Spendenshop eingerichtet, in dem u.a. dazu beigetragen werden kann, dass auch weiteren Kindern aus Krisengebieten eine Operation und damit der Start in ein neues Leben ermöglicht werden kann.

Weitere Informationen dazu finden Sie unter: https://spenden-klinikumdo.de/kinderklinik/

Quelle: Klinikum Dortmund

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