„Du wachst in einem fremden Raum auf. Um dich piept es. Überall führen Schläuche in dich hinein. Durch eine Maske wird Luft in dich hereingepumpt. Es riecht eklig und schmeckt nach Plastik. Deine Schneidezähne fehlen. Deine Arme hängen an Drähten. Deine Beine reagieren nicht….“
Mit einem Crash Kurs der Polizei starteten heute Vormittag die Hemeraner Sicherheitstage im Sauerlandpark. Bevor Rettungskräfte am Wochenende ihre Einsatzfähigkeit beweisen , gab es für 300 Schüler heftige Szenen aus dem Alltag der Retter. Es waren alles Szenen aus dem Märkischen Kreis. Unzählige, oft zur Unkenntlichkeit verbeulte, von Helfern umzingelte Blechknäuel, Rettungsfahrzeuge und -hubschrauber zeugen vom Kampf der Feuerwehrleute, Sanitäter und Ärzte um das Leben eines Menschen. Dazu spielte das Lied „Geboren um zu leben“.
Was Helfer und Opfer dann auf der Bühne schilderten, war ungeschminkt, hart, sehr nah. Das gehört zum Konzept der Crash Kurse, wie sie die Polizei in ganz NRW durchführt.
Eine 24-jährige Polizeibeamtin berichtet von ihrem letzten Arbeitsstag vor zwei Jahren in Menden. Ein junger Motorradfahrer liegt mit völlig verdrehtem Unterkörper und offenem Knochenbruch im Graben. Er hat, auf einem Rad fahrend, zwei Pkw überholt. Die Polizeikommissarin versucht, ihn bei Bewusstsein zu halten. Als ihn ein Rettungshubschrauber abtransportiert hat, sammelt sie seine Habeseligkeiten ein. Auf dem zersplitterten Display seines Smartphones sieht sie, wie viele offenbar inzwischen versucht haben, den jungen Mann zu erreichen.
Ein Iserlohner Feuerwehrmann (29) erzählt, wie er spätabends zu einem Unfall an der Mendener Straße gerufen wird. Mit hoher Geschwindigkeit hat ein Pkw ein auf der Straße drehendes Taxi gerammt. Der Taxifahrer erleidet lebensgefährliche Verletzungen. Zeitweise arbeiten 30 Rettungskräfte Hand in Hand. Bis heute frage er sich immer wieder: „Was wäre, wenn ich da entlang gefahren wäre?“ Ein bitterer Beigeschmack bleibt bei ihm: „Es gab Hunderte von Gaffern, die gefilmt und fotografiert und unsere Einsatzfahrzeuge behindert haben.“ Deshalb bittet er seine Zuhörer, einen großen Bogen um solche Unfallstellen zu machen. Und: „Wenn ihr mit Leuten fahrt, die rasen: STEIG AUS!“
Ein Notfallsanitäter (29) schildert einen Einsatz zwischen Halver und Wipperfürth: An einer Kurve liegt ein Pkw im Graben. Die Retter zerschlagen die Frontscheibe, um den nach Luft ringenden Fahrzeuginsassen herauszuziehen. Mehrmals reanimieren sie ihn. Der Mann stirbt. Der Fahrer bleibt fast unverletzt. „Wer hat wohl auf die beiden gewartet?“ Diese Frage stellt sich der Notfallsanitäter nachher öfter.
Ein erfahrener Seelsorger tritt auf die Bühne und schildert einen schlimmen Unfall in Balve, vor wenigen Jahren. Zwei junge Frauen verteilten Geburtstagseinladungen. Die Fahrt endet an einem Baum, die 17-jährige Beifahrerin stirbt. Am Abend stehen er und ein Polizeibeamter vor der Haustür der Familie und sollen Vater, Mutter, Großeltern und Bruder erklären, was passiert ist. „Ihr und wir haben es in der Hand“, mahnt der Notfall-Seelsorger die jungen Zuhörer. Ein Sekundenbruchteil der Ablenkung reicht -weil das Handy eine Message meldet etwa. Schon endet ein Leben.
Als Letzter rollt ein Rollstuhlfahrer auf die Bühne: Er hält das kaputte Kennzeichen seines Motorrades in die Luft. „Genauso zerbeult ist mein Leben.“ Er bittet die Jugendlichen, die Augen zu schließen: „Du wachst in einem fremden Raum auf. Du weißt nicht, wo du bist und was passiert ist. Um dich piept es. Überall führen Schläuche in dich hinein. Durch eine Maske wird Luft in dich hereingepumpt. Es riecht eklig und schmeckt nach Plastik. Deine Schneidezähne fehlen. Deine Arme hängen an Drähten. Deine Beine reagieren nicht….“
So schildert er die Monate nach seinem Unfall in Lüdenscheid. Und dass er nicht weit entfernt davon war, sich das Leben zu nehmen. Er appelliert an die Zuhörer, Freunde nicht fallenzulassen, die durch einen Unfall ihr „altes“ Leben verloren haben.
Ein Fehler, eine Unachtsamkeit, eine Leichtsinnigkeit und schon enden Leben oder verändern sich für immer. Im Auditorium herrscht betretenes Schweigen. Die Schüler verlassen den Saal.
Quelle KPB MK

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